1918

Systemwechsel

Die Übergabe der Regierungsgeschäfte im Reich

Im Herbst 1918 hat die Monarchie endgültig abgewirtschaftet. Am 9. November 1918 proklamiert der letzte kaiserliche Reichskanzler Prinz Max von Baden eigenmächtig die Abdankung des Kaisers und tut das in dieser Situation einzig Richtige: Er übergibt sein Amt an seinen Landsmann Friedrich Ebert. Wer sonst als der Vorsitzende der mit Abstand größten und stärksten Partei im Reich – so die Überlegung des Adelsmanns – bringt die notwendige Autorität auf, um das durch den Krieg in Elend und Chaos gestürzte Reich in eine neue Ordnung zu überführen? 

Als provisorische Reichsregierung wird am 10. November der Rat der Volksbeauftragten aus drei Mehrheitssozialdemokraten und drei „Unabhängigen“ unter Führung Eberts und Haases gebildet. Am 11. November unterschreibt der württembergische Zentrumspolitiker Matthias Erzberger die Kapitulationsurkunde: Der Weltkrieg ist nun auch offiziell zu Ende. Auf Ebert, der in diesem Krieg zwei Söhne verloren hat, und auf die gesamte Sozialdemokratie wartet eine Herkulesaufgabe – gilt es doch nicht nur massiver wirtschaftlicher, sondern auch ebenso großer politischer Verwerfungen Herr zu werden. Als Ausfluss einer Jahrzehnte alten programmatischen Forderung der Sozialdemokratie führt der Rat per Dekret quasi umgehend das Frauenwahlrecht ein. Angesichts millionenfacher Kriegsverluste stellen die Frauen eine starke Mehrheit der Bevölkerung und fortan auch des Wahlvolks. 

Mehrheitssozialdemokratie und Freie Gewerkschaften wollen zuvörderst eine parlamentarische Demokratie hergestellt sehen, die Ausrufung der Republik und die Sicherung von Bürgerrechten sind ihnen fürs Erste genug. Über diese gemeinsame Plattform mit dem demokratischen Teil der „bürgerlichen“ Parteien werden sie weitergehende sozialistische Ziele nur verfolgen, wenn sie dafür ein klares Mehrheitsmandat erhalten. Die vorerst noch sehr überschaubare Spartakusgruppe um Luxemburg und Liebknecht hingegen schert sich um Mehrheiten wenig, sondern strebt eine „Diktatur des Proletariats“ nach russischem Vorbild an. Zwischen diesen beiden Polen kämpft die USPD für radikale Demokratisierungsmaßnahmen in allen Bereichen. Das Ausscheiden der „Unabhängigen“ aus dem Rat der Volksbeauftragten am Jahreswechsel zeigt jedoch an, wie groß der Dissens zwischen SPD und USPD ist. Nach der Abspaltung der Spartakisten und der Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands soll die Frage nach dem weiteren Kurs der USPD mehr und mehr zur Schicksalsfrage geraten.