1972

Die „Zäsur von 1972“

Mit dem besten Wahlergebnis aller Zeiten in die Opposition

Willy Brandt und Walter Krause im Landtagswahlkampf 1972 

In den Landtagswahlkampf des Frühjahrs 1972 zieht die baden-württembergische SPD abermals mit Walter Krause als Spitzenkandidat. Im Zuge bundespolitischer Polarisierung hat sich das Klima in der Stuttgarter Koalitionsregierung mehr und mehr verschlechtert. Klares Ziel ist es deshalb jetzt, die CDU als Führungspartei abzulösen und auch auf Landesebene eine sozialliberale Koalition zu etablieren. Bei einer Rekordwahlbeteiligung von rund 80 Prozent verbessert die SPD ihren Stimmenanteil im Sog des bundespolitischen Trends um mehr als achteinhalb Prozentpunkte und erzielt damit ihr bestes Ergebnis seit Gründung des Südweststaats. Trotzdem scheidet sie nun aus der Regierung aus: Die CDU nämlich legt in gleichem Umfang zu und erringt damit erstmals die absolute Mehrheit – Beginn einer über zwanzig Jahre währenden Ära christdemokratischer Alleinregierungen.  

Das Jahr 1972 markiert damit für die baden-württembergische Sozialdemokratie eine einschneidende und bittere Zäsur: Vorbehaltlos hat man die Gründung des Südweststaats unterstützt, und mit Ausnahme der Jahre 1960 bis 1966 hat man seither stets in Regierungsverantwortung gestanden. Nicht zuletzt die Überwindung des konfessionsgebundenen Bildungssystems und die Modernisierung der Landesverwaltung kann man sich als nachhaltige Erfolge auf die Fahnen schreiben. Während die Politik der SPD-geführten Bundesregierung im Herbst 1972 von den Wählerinnen und Wählern eindrucksvoll bestätigt wird, ist und bleibt die Südwest-SPD auf lange Zeit hinaus in die Oppositionsrolle verdammt.