1948

Provisorium mit Nachhaltigkeitswert

Die SPD und die westdeutsche Staatsgründung

Spätestens im Sommer 1948 ist der „antifaschistische Grundkonsens“ der ersten Nachkriegsjahre endgültig aufgezehrt: Die KPD hat sich längst wieder als Sprachrohr des Stalinismus entlarvt, CDU und Liberale wollen von Wirtschaftsdemokratie nichts mehr wissen. Im Zeichen zunehmender weltpolitischer Blockbildung weisen die Zeichen unterdessen in Richtung einer doppelten Staatsgründung. Anders als für die CDU, die die Westintegration des im Entstehen begriffenen westdeutschen Teilstaats letztlich ohne Rücksicht auf die offene „deutsche Frage“ betreibt, steht für die SPD die Wiederherstellung der deutschen Einheit an vorderster Stelle der außenpolitischen Agenda. Das neue Staatsgebilde will man deshalb allenfalls als Provisorium verstanden wissen. 

Auf dem Konvent von Herrenchiemsee, der im August 1948 einen Verfassungsentwurf für den neu zu gründenden westdeutschen Teilstaat erarbeiten soll, vertritt Carlo Schmid Württemberg-Hohenzollern. Wie kein Zweiter weiß er dem Entwurf seinen Stempel aufzudrücken, und auch im Parlamentarischen Rat, der im direkten Anschluss ein Verfassungswerk für das provisorische Staatsgebilde ausarbeitet, kommt ihm eine, wenn nicht die zentrale Rolle zu. In der SPD-Fraktion des seit September 1948 tagenden Gremiums führt Schmid den Vorsitz, als einer seiner Stellvertreter fungiert der Nordbadener Gustav Zimmermann. Die nordwürttembergische SPD wird durch den Journalisten Fritz Eberhard, die südbadische durch den Volksschullehrer Friedrich Maier vertreten. 

Schmid mit Schumacher und Ollenhauer im Jahre 1949 

Schmids Einfluss auf die Gestaltung des Grundgesetzes für die zu gründende Bundesrepublik ist groß. Die Einführung eines konstruktiven Misstrauensvotums als Sicherung gegen die aus der Weimarer Republik sattsam bekannten Regierungskrisen geht ebenso auf seine Initiative zurück wie die grundgesetzliche Verankerung der Abschaffung der Todesstrafe. Vor allem aber der Grundrechtekatalog des neuen „Grundgesetzes“ in seiner schließlich verabschiedeten Form trägt weitgehend Schmids Handschrift. 

Von der Notwendigkeit eines soliden Grundrechts auf Gleichberechtigung der Geschlechter freilich muss die Juristin Elisabeth Selbert auch ihren Fraktionsvorsitzenden Schmid erst noch überzeugen. Mit Unterstützung einer breit gefächerten Frauenlobby kann die SPD-Fraktion schließlich den Gleichheitsgrundsatz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ im Grundgesetz verankern. Damit wird die rechtliche Basis für die Abschaffung zahlreicher Diskriminierungstatbestände gelegt, die man allerdings in der konservativen Adenauer-Republik der 1950er und 1960er Jahre mühsam Stück für Stück erkämpfen wird müssen. 

„Zum Herrschen geboren“ sei Schmid, befindet „Der Spiegel“ im März 1949 angesichts des Wirkens des Tübinger Verfassungsjuristen im Parlamentarischen Rat. Es kommt freilich anders: Bei der Wahl zum ersten Deutschen Bundestag im August 1949 bleibt die SPD zum allseitigen Entsetzen mit wenig mehr als 29 Prozent der Stimmen um fast zwei Prozentpunkte hinter der CDU zurück. Gegen den ausdrücklichen Rat Schmids und vieler anderer Genossen schlägt Kurt Schumacher die Option einer Großen Koalition aus. Die SPD begibt sich im neuen Bonner Parlament in die Opposition und damit – wie sich erweisen wird – in die politische Isolierung. 

1951

Ja zum Südweststaat!

Die SPD und die territoriale Frage

Plakat des Gewerkschaftsbunds Württemberg-Baden zum 1. Mai 1949 

Schon vor 1933 haben ba­di­sche und würt­tem­ber­gi­sche SPD-Po­li­ti­ker mit Nach­druck den Zu­sam­men­schluss ihrer Län­der zu einem Süd­west­staat be­trie­ben. Im Rah­men einer gro­ßen Reichs­re­form woll­te man auf diese Weise das Un­gleich­ge­wicht zwi­schen dem über­mäch­ti­gen Preu­ßen und den vie­len klei­nen und mitt­le­ren deut­schen Län­dern be­en­den. Nun setzt die SPD ihre alte For­de­rung er­neut auf die Agen­da und be­treibt ziel­ge­rich­tet eine Zu­sam­men­füh­rung der drei neu ge­bil­de­ten süd­west­deut­schen Län­der zu einem ver­ein­ten Süd­west­staat, der – so Fritz Ul­rich An­fang 1946 – ein „Boll­werk der De­mo­kra­tie und des so­zia­len Fort­schritts“ bil­den soll. Auf In­itia­ti­ve der SPD legt die Ver­fas­sung­ge­ben­de Lan­des­ver­samm­lung von Würt­tem­berg-Ba­den im Herbst 1946 ein ein­hel­li­ges Be­kennt­nis zum Süd­west­staat ab – und han­delt sich damit um­ge­hend eine Ab­fuhr durch die süd­ba­di­schen Be­hör­den ein. 

Auch als die West­mäch­te die Mi­nis­ter­prä­si­den­ten der Län­der im Som­mer 1948 auf­for­dern, Vor­schlä­ge zur Neu­glie­de­rung der Län­der zu for­mu­lie­ren, sind nicht alle im deut­schen Süd­wes­ten be­geis­tert. Wäh­rend man in Nord- wie Süd­würt­tem­berg einen Zu­sam­men­schluss zu einem Süd­west­staat weit­hin als Chan­ce be­greift, die ge­trenn­ten Teile des alten Lan­des Würt­tem­berg wie­der zu­sam­men­zu­füh­ren, sind die Mei­nun­gen in Baden völ­lig ge­spal­ten. Wäh­rend die süd­ba­di­schen Christ­de­mo­kra­ten den Zu­sam­men­schluss in den fol­gen­den Jah­ren sys­te­ma­tisch zu ver­hin­dern su­chen, steht die süd­ba­di­sche SPD in die­ser Frage ein­mü­tig an der Seite der an­de­ren süd­west­deut­schen Lan­des­ver­bän­de – was im Herbst 1948 mit zum Bruch des Frei­bur­ger Ko­ali­ti­ons­bünd­nis­ses führt. 

Ende 1951 schlie­ß­lich ist die Be­völ­ke­rung der drei süd­west­deut­schen Bun­des­län­der dazu auf­ge­ru­fen, über die Län­der­fu­si­on ab­zu­stim­men. An­ge­sichts der star­ken Ab­leh­nung, auf die das Süd­west­staats­pro­jekt un­ter­des­sen vor allem in Süd­ba­den, aber auch in ei­ni­gen Re­gio­nen Nord­ba­dens stößt, wird dabei ein etwas „zu­recht­ge­bo­ge­nes“ Ver­fah­ren mit vier Ab­stim­mungs­be­zir­ken ge­wählt. Auf diese Weise fin­det sich Nord­ba­den un­ver­se­hens in der Rolle eines „Züng­leins an der Waage“ wie­der. Neben Her­mann Veit und dem Frak­ti­ons­vor­sit­zen­den der SPD-Land­tags­frak­ti­on, Alex Möl­ler, ist es nicht zu­letzt der Mann­hei­mer Ober­bür­ger­meis­ter Her­mann Hei­me­rich, der schon seit Lan­gem mas­siv für den Zu­sam­men­schluss wirbt. Die Kam­pa­gne hat letzt­lich Er­folg: In Nord­ba­den wie ins­ge­samt er­bringt der Ur­nen­gang eine Mehr­heit für den Süd­west­staat. 

1952

Zwischen Programmpartei und Bürgerbewegung

Die SPD im Südweststaat

Zerfall des Nachkriegskonsens

Die Südwest-SPD in den Koalitionskabinetten der fünfziger Jahre

Konsequenter und einmütiger als andere Parteien hat die SPD die Gründung des Südweststaats verfolgt. Umso größer ist der Wille, die Politik des im April 1952 neu gegründeten Landes an vorderster Stelle mitzugestalten. 

Im Anschluss an die Wahl zur Verfassunggebenden Landesversammlung Baden-Württembergs im März 1952 haben sich SPD, FDP/DVP und der Bund der Heimatvertriebenen zu einem Koalitionsbündnis zusammengefunden. Obwohl die Sozialdemokraten die Liberalen in der Wählergunst deutlich übertroffen haben, überlassen sie dem bisherigen württembergisch-badischen Regierungschef Reinhold Meier kampflos das Spitzenamt und begnügen sich abermals mit dem Stellvertreterposten für Hermann Veit. Mit fünf von acht Ministerien – Inneres, Justiz, Kultus, Wirtschaft und Arbeit – glaubt man im neuen Regierungsbündnis hinreichend Einfluss ausüben zu können. Für Kontinuität jedenfalls ist gesorgt: Mit Veit, Fritz Ulrich und Gotthilf Schenkel führen drei der vier letzten württembergisch-badischen SPD-Minister ihre Ressorts im größeren Staatsgebilde weiter, und auch der Südwürttemberger Viktor Renner verfügt über Kabinettserfahrung. Neu im Regierungsgeschäft ist lediglich der südbadische Gewerkschafter Ermin Hohlwegler. 

Auf ihrem Vereinigungsparteitag am 7./8. Juni 1952 schließen sich die SPD-Parteibezirke Württemberg-Baden, Südwürttemberg-Hohenzollern und Baden zum neuen Bezirk „Südwest“ zusammen – einem der ersten SPD-Landesverbände in einem Flächenstaat. Nachdem die Mitgliederzahlen in den Vorjahren infolge der Politikabstinenz der nachwachsenden Generation, aber auch infolge der Währungsreform rückläufig gewesen sind, zählt der Bezirk nun rund 38.000 Mitglieder. Zum Vorsitzenden wird Erwin Schoettle gewählt.