1918

Statt einer Revolution nur ein Revolutiönchen

Der politische Umbruch im deutschen Südwesten

Im deutschen Südwesten vollzieht sich der politische Umbruch weit weniger dramatisch als auf Reichsebene und in vielen anderen deutschen Ländern. Während etwa Hermann Müller um den Jahreswechsel 1918/19 herum viel Mühe darauf verwenden muss, den Berliner Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte auf einen parlamentarischen Kurs zu bringen, geben sich die badischen und württembergischen Arbeiter- und Soldatenräte mehrheitlich sehr gemäßigt. 

Die württembergischen Arbeiter – so formuliert es Kurt Schumacher später einmal recht treffend – sind vielfach schwer organisierbare, „im ländlichen Eigentum verwurzelte Knorren“. Die Revolution von 1918 stellt sich vor diesem Hintergrund im Schwabenland nicht als donnerndes Ereignis dar, eine gewaltsame Umwälzung der Macht- und Besitzverhältnisse steht den Wenigsten im Sinn. Die Führungsspitze der Landes-SPD hat aus ihrer moderaten Haltung ohnehin nie ein Hehl gemacht. Schon 1916 hat sich Wilhelm Keil mit einem Loblied auf seinen König eine derbe Schelte des Berliner Parteivorstands eingehandelt, die Absetzung des volksnahen Monarchen ist den württembergischen Sozialdemokraten demgemäß im Herbst 1918 eher eine Frage der Staatsräson denn eine echte Herzensangelegenheit. 

Die württembergische SPD will auch jetzt als gemäßigte progressive Kraft agieren, kooperativ und zu Kompromissen bereit. So sind Keil und seine Mistreiter denn auch heilfroh, als sich die württembergischen Spartakisten bereits nach wenigen Stunden wieder aus der am 9. November gebildeten Provisorischen Regierung mit SPD und USPD verabschieden. Denn damit ist der Weg für eine Regierung unter Einschluss „bürgerlicher“ Politiker frei: Schon am 11. November holt Blos Vertreter anderer Parteien mit in die Regierung. 

Wilhelm Blos, der Ministerpräsident der Provisorischen Regierung, ist ein Urgestein der württembergischen Sozialdemokratie. Bereits 1872 der SDAP beigetreten, hat er noch enge persönliche Kontakte zu Marx, Engels, Liebknecht und Bebel gepflegt. Nun macht er sich mit seinen Kabinettskollegen daran, die dringlichsten Probleme der Nachkriegsmonate zu lösen: die Rückführung der Soldaten und den Kampf gegen Elend und Arbeitslosigkeit. Bald kann die Übergangsregierung erste Erfolge vorweisen. Der Übergang von der Kriegs- zur Friedenswirtschaft verläuft in Württemberg ohne größere Komplikationen, der Arbeitsmarkt entwickelt sich deutlich besser als im Rest des Reichs. 

Auch in Baden kann in der politischen Umbruchsituation vom Herbst 1919 an bewährte klassenübergreifende Traditionen angeknüpft und Blutvergießen vermieden werden. Dort ist schon am 10. November eine provisorische All-Parteien-Regierung unter Einschluss der USPD auf der einen und „bürgerlicher“ Politiker auf der anderen Seite zustande gekommen. Mit ihrem langjährigen Landesvorsitzenden Anton Geiß stellt die SPD auch in der Vorläufigen Volksregierung Badens zwar den Ministerpräsidenten, spielt ihre dominante Stellung ansonsten aber nicht aus.