1900

„Gleichheit“ made in Südwest

Die proletarische Frauenbewegung

„Die Gleichheit“ vom 20. April 1892 

Der im Oktober 1891 im Erfurter Programm der SPD aufgestellten Forderung nach dem Frauenwahlrecht ist umgehend die Gründung eines eigenen „Organs für die Interessen der Arbeiterinnen“ gefolgt: Unter dem programmatischen Namen „Die Gleichheit“ erscheint es ab dem Jahreswechsel 1891/92 bei Dietz in Stuttgart.  

Die Redaktion liegt in den Händen von Clara Zetkin. 

Während sich die Vertreterinnen der „bürgerlichen“ Frauenbewegung neben dem Frauenwahlrecht vor allem für den Zugang ihrer Geschlechts- und Klassengenossinnen zur höheren Bildung engagieren, propagiert Zetkin die Auffassung, dass die Frauenfrage von der sozialen Frage abhänge und die Frauenemanzipation letztlich nur im Zuge der Klassenemanzipation durch die Arbeiterbewegung erstritten werden könne. 

Wird in Preußen und anderen deutschen Staaten Frauen nicht nur das Wahlrecht vorenthalten, sondern ist ihnen sogar die Mitgliedschaft in Parteien und Vereinen untersagt, so dürfen sie sich in Baden und Württemberg immerhin politisch betätigen. In der Mannheimer SPD etwa hat sich schon unmittelbar nach dem Auslaufen des „Sozialistengesetzes“ eine Frauengruppe gegründet, die auf dem Berliner Parteitag 1892 mit einem Antrag auf Anerkennung der Frauenerwerbsarbeit auf sich aufmerksam macht. Nach der Jahrhundertwende soll es dann auch im größeren Stil zur Gründung sozialdemokratischer Frauengruppen kommen. In Baden geht die Initiative dazu vor allem von der Mannheimer Arbeiterfrau Therese Blase aus, in Württemberg von der Reutlinger Fabrikarbeiterin Laura Schradin. 

Dem traditionellen Frauenbild jener Zeit durchaus entsprechend, nehmen sich die proletarischen Frauengruppen vor allem sozialer Themen an – so allen voran etwa der Tatsache, dass das Gros der Proletarierkinder angesichts der durch materielle Not erzwungenen Doppelberufstätigkeit beider Eltern weitgehend sich selbst überlassen ist. Um dem entgegenzuwirken, schreiten die sozialdemokratischen Aktivistinnen nun zunehmend zur Selbsthilfe: Die „Kinderschutzkommissionen“, die sie unter dem Dach von Partei und Freien Gewerkschaften gründen, bieten Tausenden von Arbeiterkindern nachmittags und in den Ferien Betreuung und Abwechslung in ihrem oft tristen Alltag. Der Nachwuchs wird an die Natur herangeführt, zu Spiel und Gesang angeregt, mit Milch und manchmal auch mit Leckereien versorgt – unvergessliche Erlebnisse, die viele der Jüngsten schon früh an die Arbeiterbewegung binden. 

Plakat zum Frauentag 1914 

Das Reichsvereinsgesetz von 1908 erlaubt Frauen die Mitgliedschaft in politischen Organisationen endlich auch offiziell. Damit wird freilich nur legalisiert, was in den Reihen der Arbeiterbewegung längst gängige Praxis ist. Just in den Jahren zuvor ist der deutsche Südwesten gleich zweimal Schauplatz einschneidender Ereignisse in der Geschichte der proletarischen Frauenbewegung gewesen: 

Unter dem Vorsitz von Clara Zetkin und Luise Zietz hat unmittelbar vor dem Mannheimer SPD-Parteitag 1906 erstmals eine sozialdemokratische Frauenkonferenz stattgefunden. Neben dem Dauerthema „Frauenstimmrecht“ haben dabei vor allem arbeits- und sozialrechtliche Fragen im Mittelpunkt gestanden. Darüber hinaus haben die Teilnehmerinnen die Einrichtung von Krippen und Kindergärten durch die Kommunen gefordert. Im Rahmen des Stuttgarter Sozialistenkongresses 1907 sodann ist zum ersten Mal eine Internationale Frauenkonferenz einberufen worden. Die Versammlung hat unter anderem die Einrichtung eines Internationalen Frauensekretariats beschlossen. Zur Sekretärin ist Clara Zetkin bestimmt worden, zum Sitz ihr Wirkungsort Stuttgart. 

Unter den zahlreichen Impulsen, die Zetkin der internationalen Frauenbewegung gibt, macht vor allem eine Geschichte: Auf ihre Initiative sowie auf die der aus Lörrach stammenden „Gleichheit“-Mitarbeiterin Käte Duncker hin beschließt die zweite Internationale Sozialistische Frauenkonferenz in Kopenhagen 1910, künftig alljährlich einen „Internationalen Frauentag“ zu begehen, an dem weltweit Frauenrechte eingefordert werden sollen. Am 19. März 1911 gehen Frauen erstmals weltweit auf die Straßen, um für ihre politische und soziale Teilhabe zu demonstrieren – wie seither alljährlich im März.