1975

„Ende oder Wende“

Die Südwest-SPD als ökologische Avantgarde

„Ende oder Wende“ – so lautet die Alternative, die Eppler 1975 in einer viel beachteten Publikation beschwört. Dem vorherrschenden „Strukturkonservatismus“ setzt er einen „Wertkonservatismus“ entgegen, der auf Menschenwürde und Naturerhalt abzielt. Im selben Jahr stellt der Atomphysiker Carl-Friedrich von Weizsäcker bei einer Energiekonferenz der Südwest-SPD in Reutlingen unter großem Beifall die Nutzung der Kernenergie in Frage. Damit nimmt ein innerparteilicher Meinungskampf seinen Lauf, der elf Jahre andauern und erst auf dem Nürnberger Parteitag des Jahres 1986 ein Ende finden wird. Während sich das Bekenntnis zu einer friedlichen Nutzung der Atomkraft sogar in der Präambel des SPD-Grundsatzprogramms findet, ringt sich der baden-württembergische Landesverband im Sommer 1979 in Fellbach zu einem Parteitagsbeschluss zugunsten eines Ausstiegs aus der Kernenergie durch. Diese atomkritische Haltung wird gespeist von einer sich formierenden Anti-AKW-Bewegung sowie vom zunehmenden Widerstand gegen das von der Landesregierung geplante Atomkraftwerk im südbadischen Wyhl. 

Der zukunftsorientierte politische Kurs der Südwest-SPD münzt sich indes weder in Wählerstimmen noch in einen Mitgliederzuwachs um – im Gegenteil: Nachdem die Zahl der baden-württembergischen Parteimitglieder von der Mitte der 1950er Jahre bis 1976 kontinuierlich auf zuletzt 78.000 Personen angestiegen ist, geht sie seither ebenso kontinuierlich zurück. Mit ihrer ökologischen Ausrichtung verprellt die Landespartei traditionelle Anhänger- und Wählerschichten. Auf die postmateriell ausgerichteten jüngeren Wählerschichten wiederum, die gerade im deutschen Südwesten einen zunehmend gewichtigen Faktor darstellen, wirken ihre umweltfreundlichen Positionen nur wenig glaubwürdig, solange gleichzeitig eine SPD-geführte Bundesregierung eine strikt auf Wachstum ausgelegte Wirtschafts-, Verkehrs- und Energiepolitik betreibt und Sozialdemokraten aus dem deutschen Südwesten an diesem Kurs an vorderster Stelle beteiligt sind – so etwa Volker Hauff als Forschungs- oder seit Ende 1979 auch Günter Huonker als Staatsminister. „Mit Helmut Schmidt und Erhard Eppler für und gegen Atomkraftwerke“ – so bringt es ein südwestdeutscher Sozialdemokrat ironisch auf den Punkt.