1905

„Propaganda der Tat“ oder Kungeln mit dem Klassenfeind?

Die südwestdeutsche Koalitions- und Budgetbewilligungspolitik

Angesichts der starken Dominanz der katholischen Zentrumspartei im Lande schließt die badische SPD bei der Landtagswahl des Jahres 1905 ein Stichwahlabkommen mit den liberalen Parteien. Damit ist der Grundstock für eine Konstellation gelegt, die zum damaligen Zeitpunkt ebenso ungewöhnlich wie unerhört ist: die Einbindung der Sozialdemokratie in eine mehrheitsfähige Koalition. Von der Reichsführung der Partei strikt abgelehnt, soll die badische Politik des „Großblocks“ letztlich zahlreiche sozialpolitische Neuerungen und Reformen erbringen – so unter anderem eine Staffelung der Einkommenssteuer, die staatliche Förderung der Arbeitslosenversicherung, die Ausdehnung des Koalitionsrechts auf Eisenbahner und staatliche Forstarbeiter, die Aufnahme von Frauen in die städtischen Kommissionen für Schulwesen und Armenwesen, eine Herabsetzung des Wahlalters von 25 auf 21 Jahre, die Sicherung des Vereins- und Versammlungsrechts und später schließlich auch eine Reform der Gemeinde- und Städteordnung. 

Vor allem die Gemeindereform kommt einer Sensation gleich: Das zutiefst ungerechte kommunale Dreiklassenwahlrecht wird nun zugunsten des Prinzips „One man – one vote“ abgeschafft. Das „man“ ist allerdings wörtlich zu nehmen, denn von der Durchsetzung der Frauenwahl, wie die SPD sie seit Jahrzehnten fordert, glaubt man sich zu diesem Zeitpunkt noch meilenweit entfernt. 

Innerhalb der Reichs-SPD wird die Bündnispolitik der badischen Genossen trotz allem erbittert bekämpft – allen voran von den Vertretern jener Landesverbände, die in den eigenen Landesparlamenten zu unversöhnlicher Opposition gezwungen oder wie in Preußen wegen des Dreiklassenwahlrechts überhaupt nicht im Landtag vertreten sind. Indes soll sich das Koalitionsabkommen durchaus als zukunftsweisend entpuppen: 

Programm der Pforzheimer Schillerfeier vom 14. Mai 1905