1875

Zwischen Protest und Pragmatismus

Die Südwestdeutsche Sozialdemokratie um Kaiserreich

Einigkeit macht stark

Erste politische Erfolge nach dem Parteizusammenschluss

Probenummer des „Pfälzisch-Badischen Volksblatts“ vom September 1877 

Im Mai 1875 schließen sich ADAV und SDAP in Gotha zur „Sozialistischen Arbeiterpartei“ zusammen. Anders, als der Name der neuen Partei vermuten lassen mag, trägt das Programm, das sie sich auf dem Vereinigungsparteitag gibt, deutlich reformistische Züge – eine notwendige Konzession an die Lassalleaner. 

Ein Arbeitertag im pfälzischen Neustadt an der Weinstraße läutet bereits im April 1876 den Aufbau eines „Pfälzisch-Badischen Agitationskomitees“ der vereinigten Arbeiterpartei ein. Die frühe Regionalorganisation arbeitet sehr erfolgreich, und seit September 1877 kann sie mit dem „Pfälzisch-Badischen Volksblatt“ sogar eine eigene Zeitung herausgeben. Auch als im Oktober 1878 die SAP und ihre Gliederungen verboten werden, besteht das Agitationskomitee inoffiziell weiter fort. Für das regionale Parteiorgan hingegen bedeutet das Parteiverbot das Aus, Druckerzeugnisse müssen seither heimlich aus dem Ausland ins Reich geschmuggelt werden. 

Während das Landtagswahlrecht in Baden fortschrittlicher ist als das der meisten anderen deutschen Länder, gilt auf kommunaler Ebene ein zutiefst ungerechtes Dreiklassenwahlrecht – ein Sachverhalt, der für die Sozialdemokratie zunächst eine große Hürde auf dem Weg in die Rathäuser darstellt. Dass diese Hürde jedoch nicht unüberwindbar ist, soll sich noch wenige Tage vor dem Inkrafttreten des Bismarck’schen „Sozialistengesetzes“ im Oktober 1878 eindrucksvoll erweisen: Bei der Mannheimer Kommunalwahl kann die SAP aus dem Stand heraus sämtliche Mandate in der Klasse der Niederbesteuerten erringen. Mit Dreesbach sowie weiteren 15 Mannheimer Genossen rücken nun erstmals Sozialdemokraten als Stadtverordnete in einen Bürgerausschuss des deutschen Südwestens ein. 

Auch in Stuttgart ist die SAP unterdessen erstarkt: Bei der Reichstagswahl vom Juli 1878 hat ihr Kandidat, der Schriftsteller Albert Dulk, in manchen Stadtteilen bis zu 40 Prozent der Stimmen eingefahren und mit insgesamt rund 21 Prozent ein Achtungsergebnis erzielt. Im Folgejahr – die Partei ist längst verboten – ziehen in Esslingen erstmals Sozialdemokraten auch in einen württembergischen Bürgerausschuss ein. Ein Wahlbündnis mit der demokratischen Volkspartei hat diesen Erfolg möglich gemacht.