1980

„Ende oder Wende“

Die Südwest-SPD als ökologische Avantgarde

Nicht von ungefähr schafft bei der baden-württembergischen Landtagswahl im März 1980 eine gerade erst gegründete Partei namens „Die Grünen“ aus dem Stand heraus den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde und zieht damit erstmals ins Landesparlament eines bundesdeutschen Flächenstaats ein. Die SPD hingegen hat selbst aus dem Filbinger-Skandal des Jahres 1978 keinen politischen Profit ziehen können, sondern verharrt bei rund einem Drittel der Wählerstimmen. Erhard Eppler, der das Ergebnis auch als eine persönliche Niederlage bewertet, übernimmt die politische Verantwortung und tritt vom Fraktionsvorsitz zurück. Im Mai 1981 gibt er schließlich auch den Landesvorsitz ab. Seine Qualitäten als politisch-strategischer Vordenker der Partei hat er gerade zuvor wieder mit wachstumskritischen Überlegungen und der Forderung nach einem „qualitativen Wachstum“ unter Beweis gestellt. 

Auf Ulrich Lang, der 1980 den Vorsitz der Landtagsfraktion übernommen hat und nun auch an die Spitze der Landespartei rückt, wartet keine leichte Aufgabe: Es gilt, den eher traditionell denkenden Arbeitnehmerflügel und die stärker ökologisch ausgerichteten Teile der Landespartei zusammenzuführen. Zu einem Zeitpunkt, als die Diskussion darüber, wie man auf die ökologischen Herausforderungen sozialverträglich reagieren kann, in der Bundes-SPD gerade erst begonnen hat, tritt der südwestdeutsche Landesverband bereits für eine vorausschauende Umweltpolitik ein, mit der gleichzeitig Arbeitsplätze geschaffen und das Wirtschaftswachstum gefördert werden sollen. Doch auch mit dieser neuen Akzentsetzung bleibt sie bei der Landtagswahl 1984 abermals unter 33 Prozent, und abermals kann die CDU eine Alleinregierung bilden. 

Auf kommunaler Ebene immerhin sind unterdessen durchaus Erfolge zu verbuchen: In einer ganzen Reihe südwestdeutscher Städte kann die SPD Rathaussessel erobern, die bisher von Christdemokraten besetzt waren. So setzt sich etwa im Oktober 1982 der ehemalige Bonner Finanzstaatssekretär Rolf Böhme bei der Freiburger OB-Wahl knapp gegen seinen CDU-Konkurrenten durch.  

Ein Jahr später tut es ihm der vormalige Entwicklungsminister Rainer Offergeld in Lörrach nach. 1985 wird Pforzheim folgen und 1986 Böblingen.  

Die Diskussion um den Atomausstieg erreicht schließlich auch die Bundes-SPD und beschäftigt Parteitag um Parteitag. Sozialdemokraten aus dem Südwesten tragen maßgeblich dazu bei, dass sich nach dem Sturz Helmut Schmidts und der Bildung einer schwarz-gelben Koalition im Oktober 1982 die atomkritische Haltung allmählich zur Position der Bundespartei zu entwickeln beginnt. Bereits auf ihrem Essener Parteitag 1984 unterstreicht die SPD, dass die friedliche Nutzung der Kernenergie nur für eine Übergangszeit zu verantworten sei. Unter dem Eindruck der Atomkatastrophe von Tschernobyl fordert die einstige Industriepartei schließlich auf ihrem Nürnberger Parteitag im August 1986 mit großer Mehrheit einen Ausstieg aus der Atomenergie binnen zehn Jahren – für die SPD auch aus eigener Sicht eine historische Zäsur. Bundesweite politische Mehrheiten für eine solche Neuausrichtung der Energiepolitik soll es allerdings erst nach der Bundestagswahl 1998 und der Etablierung einer rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder geben.