1914

Friedensfrage und Kriegskredite

Die SPD und der Erste Weltkrieg

Publikation von Wilhelm Kolb aus dem Jahr 1915 

Maßgeblich auf Ludwig Franks Initiative hin finden im Frühjahr 1913 und im Frühjahr 1914 in der Schweiz überparteiliche „Verständigungskonferenzen“ deutscher und französischer Parlamentarier statt. Gegen die zunehmende Kriegstreiberei freilich vermögen diese Treffen letztlich ebenso wenig auszurichten wie die Volksversammlungen, die die SPD und andere friedenswillige Organisationen einberufen. Als sich die Situation im Sommer 1914 zuspitzt, reagiert die Sozialdemokratie in Reich wie Ländern geschlossen auf die drohende Kriegsgefahr. Noch Ende Juli wird Hermann Müller vom SPD-Vorstand nach Paris entsandt, um zu retten, was noch zu retten ist. Als er am 31. Juli eintrifft, ist Jean Jaurès von einem rechten Fanatiker ermordet worden. Der Krieg scheint nicht mehr abwendbar. 

Die Verhängung des Kriegszustands macht legale Demonstrationen im Reich unterdessen unmöglich, vor einem Generalstreik schrecken die Freien Gewerkschaften zurück. Die nationalistische Euphorie hat durchaus auch viele der jahrzehntelang als „vaterlandslose Gesellen“ geschmähten Parias des Wilhelminischen Klassenstaats ergriffen. Als schließlich die SPD-Reichstagsfraktion am 4. August nach langer und schmerzhafter Diskussion geschlossen der Bewilligung der Kriegskredite zustimmt, liegt dieser Politik des „Burgfriedens“ mit Kaiser und Regierung aber auch ein klares Kalkül zugrunde: 

Der Großteil der Verantwortlichen in Partei und Gewerkschaften hofft, dass dieser Krieg der Arbeiterbewegung die historische Chance zur großen gesellschaftlichen Veränderung bieten werde. Wenn man den ohnehin unabwendbar erscheinenden Krieg jetzt mitträgt – so die Überlegung –, kann man später politische Forderungen stellen. In diesem Sinne ist es weder blanker Opportunismus noch plötzliche Kriegsbegeisterung, die ausgerechnet den Friedensaktivisten Ludwig Frank dazu verleitet, sich bei Kriegsbeginn freiwillig zum Militär zu melden. Schon einen Monat später fällt er in Lothringen. 

Die Bewilligung der Kriegskredite durch die SPD-Reichstagsfraktion besiegelt den Weg in die Parteispaltung. Während die südwestdeutschen Landesvorstände einmütig zur offiziellen Parteilinie stehen, hagelt es vor allem aus der Redaktion der „Schwäbischen Tagwacht“ massive Kritik. Um das Stuttgarter Parteiblatt auf den offiziellen Kurs der Partei zu bringen, wird im November 1914 Wilhelm Keil als Chefredakteur eingesetzt. Die Redaktion ist freilich nicht gewillt, das Feld kampflos zu räumen, sondern tut sich landesweit nach Verbündeten um. Angesichts der weiteren politischen Entwicklungen soll sie rasch fündig werden: 

Anfang Dezember 1914 widersetzt sich Karl Liebknecht als erster Reichstagsabgeordneter der Fraktionsdisziplin und stimmt gegen weitere Kriegskredite. Damit handelt er sich den Ausschluss aus der SPD-Fraktion ein – und gibt zugleich den Auftakt zu immer lauterem Aufbegehren. Wie viele andere Parteigliederungen im Reich verselbständigt sich auch der Stuttgarter Ortsverein noch im selben Monat.